Vernichtungsort Malyj Trostenez: Geschichte und Erinnerung

von Aliaksandr Dalhouski

Fragment der Skulptur „Pforte der Erinnerung“. Bild: Ekaterina Makhotina, Juni 2018.

Im Zuge des Vernichtungskrieges gegen die Sowjetunion waren die Nationalsozialisten bestrebt, die physische Vernichtung der europäischen Juden in den Osten des Kontinents zu verlagern. Minsk und Rigawurden nach Litzmannstadt im Oktober 1941 als Deportationsziele bestimmt.[1]So ist das Minsker Ghetto auch zur Haftstätte Juden aus deutschen Städten, aus Wien und dem Reichsprotektorat Böhmen und Mähren geworden. Etwa 7.000 Juden aus Hamburg, Düsseldorf, Frankfurt am Main, Berlin, Brünn, Bremen und Wien kamen im November 1941 nach Minsk und wurden ins extra für sie eingerichtete so genannte Sonderghetto auf dem Gelände des Minsker Ghettos eingewiesen. Die Novemberdeportationen der Juden aus Mitteleuropa trugen zur Radikalisierung des Massenmordes im Minsker Ghetto bei: Um Platz für sie zu schaffen, erschossen Sipoeinheiten (Sicherheitspolizei) und Hilfspolizei, unterstützt von Angehörigen der Schutzpolizei und der Gendarmerie, zwischen dem 7. und 11. November 6.624 und am 20. November noch etwa 5.000 belarussischen Juden, darunter Frauen, Kinder und Greise in Tutschinka.[2]

Abb. 1: Denkmal für die Juden, die in Tutschinka ermordet wurden. Zwei riesige Brocken drücken in ausweglose Lage geratene Menschen zusammen. Dieses Denkmal wurde 2008 in der Nähe zum Vernichtungsort errichtet. Architekt: Leonid Lewin, Bildhauer: Haraberusch und Gakulnitzki. Quelle: Geschichtswerkstatt Minsk

Nach der Wannsee-Konferenz kam Minsk für das Reichssicherheitshauptamt (RSHA) weiterhin als ein Ort für künftige Deportationen mitteleuropäischer Juden in Frage. So führten die Besuche der Holocaust-Planer Eichmann, Himmler und Heydrich im März-April 1942 in Minsk zur Entscheidung, Judendeportationen nicht nur wiederaufzunehmen, sondern die Deportierten auch umgehend nach ihrer Ankunft in der Umgebung von Minsk zu ermorden.[3]Eine von außen schwer einsehbare Lichtung im Waldstück Blagowschtschina аn der Landstraße Richtung Mogilew, etwa 13 Kilometer von Minsk entfernt, wurde zur Ermordungsstätte ausgewählt. Schließlich wurden alle in der Zeit vom Mai bis Oktober 1942 nach Minsk deportierten Juden, insgesamt 16 Transporte davon neun aus Wien, fünf aus Theresienstadt, ein Berlin/Königsberg und ein aus Köln, gleich am Tag ihrer Ankunft zur Lichtung im Waldstück Blagowschtschina, im NS-Jargon als „Umsiedlungsgelände“ bezeichnet, gebracht. Dort wurden sie entweder erschossen oder durch Vergasen umgebracht.

Bonner Juden und ihr Weg in die Vernichtung

Die Transporte aus den deutschen Städten waren Sammeltransporte. So im Zug, welcher am 20. Juli 1942 aus Köln nach Minsk abgefahren ist, waren auch die Juden aus Köln, Bonn und anderen Orten des Rheinlandes, insgesamt 1164 Erwachsene, Jugendliche und Kinder. Mehr als 150 jüdische Bürger aus Bonn wurden in diesem Transport von Köln-Deutz nach Minsk deportiert; sie waren zuvor in einem von der Gestapo zu einem Lager umfunktionierten Kloster in Endenich interniert worden.[4]Die Deportierten wurden am 24. Juli, am Tag der Ankunft in Malyj Trostenez bzw. Blagowschtschina ermordet. Uns ist kein Überblendende aus diesem Transport bekannt. Geblieben sind einige Postkarten als letzte Lebenszeichen.[5]Am 19. Juli 1942, einen Tag vor ihrer Deportation nach Malyj Trostenez schrieb z.B. die 17-jährige Ruth Herz aus Beuel, welche mit ihre Eltern Max und Edith Herz deportiert wurde, einen Abschiedsbrief an ihren Onkel: 

„…Es ist ein Glück, dass wir alle drei noch jung sind und uns vor keiner Arbeit scheuen. Auch werden wir uns in jeder Lebenslage zurechtfinden… Es ist eine harte Schule durch die ich gehen muss, meine schönsten Jugendjahre gehen dahin, aber ich hoffe, es wird mir einmal doch noch zu Gute kommen.“[6]

Abb. 2: Stolpersteins Max Herz, Edith Herz, Ruth Herz Combahnstraße 24 Bonn. Quelle: https://de.m.wikipedia.org/wiki/Datei:Stolpersteins_Max_Herz,_Edith_Herz,_Ruth_Herz_Combahnstra%C3%9Fe_24_Bonn.JPG

Oscar Hoffmann war 19 Jahre alt und elternlos, als er von Köln aus nach Minsk deportiert wurde. Er machte beim Troisdorfer Fotografen Erwin Bernauer eine Lehre. Er schickte zwei Postkarten an die Familie seines Troisdorfer Ausbilders Erwin Bernauer, bei dem er eine Lehre zum Fotografen absolvierte:

„Lb. Familie Bernauer!

Wir sind hier zu 1.200 Personen in der Messehalle. Unser Transport geht morgen, Montag, 15 Uhr ab, wie es heisst nach Minsk in der Südukraine, um dort in der Landwirtschaft zu arbeiten. Es gibt in Russland zwei verschiedene Orte Minsk. Wir alle sind guten Mutes. Empfangen Sie nun noch meine herzl. Grüsse und vielen, vielen Dank für alles. Ihr Oscar. […]“

„Minsk, Donnerstag [richtig Freitag], den 24.7.42, morgens 7 Uhr

Meine lb. Familie Bernauer!

Nach 87 stündiger Fahrt sind wir gesund, munter u. guten Mutes hier in Minsk angekommen. In Wolhonye [gemeint ist Wolkowysk] sind wir aus unserem Kölner Zug in Viehwagen verladen worden. Wie es heisst, sollen wir gleich samt unserem Gepäck den Bahnhof verlassen, um in unser Lager eingewiesen zu werden. Man vermutet, dass wir in der näheren Umgegend v. Minsk bei Bauern in der Landwirtschaft eingesetzt werden. […]

Die Behandlung während der Fahrt von Seiten des Begleitpersonals war hervorragend, mangelnder war m[einer] A[nsicht nach] die schlechte Schlafgelegenheit im Zuge. In Personenwagen (Kölner Zug) waren wir zu 8 in Waggons eingeteilt. Nachdem wir in Wolhonye [Wolkowysk] umgeladen worden sind, lagen wir samt unserem Gepäck zu ca. 50 Menschen in einem Wagen. Unser mitgenommener Proviant ist bis jetzt noch nicht aufgegangen. Wie ich gerade höre, besteht eine gewisse Möglichkeit, dass wir in den hiesigen Betrieben in unseren Berufen arbeiten können. Wenn es Ihnen möglich ist, senden Sie mir bitte mein Zeugnis, da dies von Wert sein soll […]“[7]

Es fällt auf, dass Oscar Hoffmann sehr hoffnungsvoll war, sich sogar sein Zeugnis hat zuschicken lassen wollen, – aber noch bevor die Postkarte seine Empfänger erreichte, wurde er bereits in Blagowschtschina ermordet.

Blagowschtschina – eines der größten Mordfeldern in Europa

Die Lichtung im Wald von Blagowschtschina wird auch zum zentralen Erschießungsort für die noch lebenden Juden des Minsker Ghettos sowie für Insassen der Minsker Gefängnisse, darunter Partisanen- und Widerstandsverdächtige, zivile Geiseln oder einfach erkrankte Häftlinge. Diese Lichtung wurde im Zeitraum vom Mai 1942 bis Dezember 1943 zum größten Ort der Massenmorde in Minsk und der Umgebung. Der Massenmord wurde von den Angehörigen der Dienststelle des Kommandeurs der Sicherheitspolizei (KdS), welcher dem Reichssicherheitshauptamt (RSHA) in Berlinunterstand,organisiert.

Mit dem Ausbau der Zentren des industriellen Mordes, – wie unter anderem in Treblinka im Oktober 1942 – wird Malyj Trostenez als Zielort für Deportationen und Ermordung mitteleuropäischer Juden aufgegeben. Die Nutzung von Blagowschtschina als Erschießungsstätte wurde praktisch zeitgleich mit der Auflösung des Minsker Ghettos im Oktober 1943 eingestellt. Zwischen Ende Oktober und Mitte Dezember 1943 das Sonderkommando 1005-Mitte im Lager Malyj Trostenez stationiert. Unter Einsatz der Gefangenen aus den Minsker Haftanstalten öffnete das Kommando die Massengräber in Blagowschtschina, die verwesenden Leichen wurden mit Eisenhaken herausgehoben, gestapelt und verbrannt. Die Asche wurde auf der Suche nach Gold durchgesiebt. Zum Schluss der so genannten Enterdungsaktion wurden alle eingesetzten Zwangsarbeiter ermordet.[8]

Abb. 3: Die Außerordentliche Kommission bei der Öffnung eines vermutlichen Erschießungsgrabes im Juli 1944 in Blagowschtschina. Deren Mitglieder schauen Asche mit Knochenresten an. Quelle: Belorusskij gosudarstwennyj musej istorii Welikoj Otetschestwennoj wojny (Das Belarussische Museum des Großen Vaterländischen Krieges), Minsk.

Ende April bis Anfang Mai 1942, etwa zur gleichen Zeit, als die Deportationen wiederaufgenommen wurden, gründete die Dienststelle des KdS Minsk auf dem Gelände der ehemaligen Karl-Marx-Kolchose etwa drei Kilometer vom Waldstück Blagowschtschina entfernt einen Agrarbetrieb mit Ackerbau und Viehhaltung, um sich mit landwirtschaftlichen Erzeugnissen zu versorgen. Dafür wurden Zwangsarbeiter vor allem unter den deportierten mitteleuropäischen Juden rekrutiert. Mit der Zeit entstanden auf dem SD-Gut Elemente der Infrastruktur eines Zwangsarbeitslagers wie Baracken, Werkstätten und Stacheldrahtzäune. Kranke wurden bei regelmäßigen Inspektionen ausselektiert und durch neue Arbeiter ersetzt. Die Lagerinfrastruktur und die Zwangsarbeiter wurden für die Lagerung und Sortierung der persönlichen Gegenstände der Ermordeten genutzt.In der unmittelbaren Nähe des Lagers lag das Waldstück Schaschkowka. Dort wurde Ende 1943 eine primitive Leichenverbrennungsanlage als Ersatz für den Erschießungsort in Blagowschtschina errichtet. Unter Mitwirkung von Kollaborateuren ermordete dort bis Ende Juni 1944 das Personal der Dienststelle des KdS Minsk Tausende, womöglich gar Zehntausende Insassinnen und Insassen der Minsker Gefängnisse. Ihre Leichen wurden anschließend gleich vor Ort verbrannt.Der ganze Trostenez-Komplex wurde durch den Kommandeur der KdS-Dienststelle Minsk betrieben.

Schließlich wurden am 29. und 30. Juni 1944, nur wenige Tage vor dem Eintreffen der Roten Armee, über 100 verbliebene Häftlinge des Arbeitslagers sowie einige Tausende Insassinnen und Insassen der Minsker Gefängnisse in der Scheune auf dem Gelände des Arbeitslagers erschossen und darin verbrannt. Zuletzt vernichtete man die Bauten des Lagers und seine Unterlagen.

Abb. 4: Aufnahme der Außerordentlichen Kommission von den Resten der Scheune mit den verkohlten Leichen hunderter Menschen. Diese Scheune ist der einzige Tatort in Malyj Trostenez, an dem den Tätern nicht gelungen ist, die Leichen von den Ermordeten komplett zu verbrennen. Quelle: Belorusskij gosudarstwennyj muzej istorii Welikoj Otetschestwennoj wojny, Minsk

Seitens der aktuellen Forschung werden aus den Täterakten heraus Rückschlüsse von Christian Gerlach auf 60.000 Tote in Malyj Trostenez gezogen, laut Petra Rentrop waren es weniger.[9]Die Ermittlung einer genaueren Zahl ist aufgrund der Beseitigung der Verbrechensspuren durch die Täter und angesichts der verschollenen Lagerunterlagen bzw. SD-Akten kaum möglich.

Der Weg zum Erinnerungsort

Am Ort der Massenerschießungen im Waldstück Blagowschtschinaentstand zunächst kein Gedenkort. Dort befand sich nach der Befreiung ein großräumiger Militärübungsplatz. In seiner unmittelbaren Nähe legte die Stadt Minsk 1958 eine Mülldeponie an. Offiziell begründet wurde das Fehlen einer Gedenkstätte in den 1950er Jahren zunächst mit Geldmangel. Schließlich entstanden Mahnmale in Malyj Trostenez (1961), in Bolschoj Trostenez (1963) sowie in Schaschkowka (1966). Die Aufschriften enthielten karge Angaben zu den Jahren der Vernichtung, 1941 bis 1944, und zur Opferzahl (201.500). „Friedliche Zivilisten“, Partisanen und sowjetische Kriegsgefangene wurden als Opfergruppen genannt.Problematisch war, dass die Inschrift auf dem Denkmal in Bolschoj Trostenez darauf verwies, dass es dem Gedenken an die gesamte Masse der in Trostenez Ermordeten diene, obwohl dieser Ort historisch gar nichts mit den Vernichtungsstätten zu tun hatte. Dies und die Tatsache, dass die Gedenkveranstaltungen hauptsächlich in Bolschoj Trostenez abgehalten wurden, schufen Voraussetzungen für ein Missverständnis, das in den darauffolgenden Jahrzehnten unaufgeklärt bleiben sollte: Bolschoj Trostenez erschien als der historische Ort, während Blagowschtschina zunehmend in Vergessenheit geriet.

Anfang 1990er-Jahre waren die Minsker Neubauten bereits dicht an das Gelände des ehemaligen Lagers Malyj Trostenez herangerückt. In den 1990er-Jahren, begannen ausländischen Touristinnen und Touristen das Gelände des ehemaligen Lagers bei Malyj Trostenez und die vergessene Vernichtungsstätte im Waldstück Blagowschtschina zu besuchen. Schließlich wurde Blagowschtschina als „vergessener NS-Tatort“ durch Experten und Öffentlichkeit „wiederentdeckt“. Daraufhin wurde der Ort unter Denkmalschutz gestellt und ein neuer nationaler Erinnerungsort ist entstanden.

Der erste Bauabschnitt der neuen postsowjetischen Gedenkanlage mit der SkulpturPforte der Erinnerung, einigen Fundamenten sowie mit Informationstafeln auf dem Gelände des ehemaligen Arbeitslagers wurde am 22. Juni 2015 eröffnet. Auf den Informationstafeln in der Gedenkanlage Trostenez werden die jüdischen Opfer in sowjetischer Tradition als „Zivilisten“ aus Minsk und Westeuropa bezeichnet, die Begriffe „Holocaust“ oder „Shoah“ kommen nicht vor. In der ersten Phase der Gestaltung der Gedenkanlage wurde also auf das Spezifische dieses Vernichtungsortes nicht eingegangen. In diesem Zusammenhang war die Schaffung der Wanderausstellung „Vernichtungsort Malyj Trostenez. Geschichte und Erinnerung“ in den Jahren 2014–2016 ein wichtiges Ereignis, die einen Überblick über die Geschichte dieses Vernichtungs- und Erinnerungsortes bietet. Einen großen Platz in der Ausstellung nimmt dabei die Ermordung der Juden aus dem Minsker Ghetto und der aus Mitteleuropa deportierten Juden.[10]Diese Wanderausstellung ist ein Ergebnis des internationalen Dialogs von Historikern aus Belarus, Deutschland, Österreich und Tschechien. Die Träger der Ausstellung sind das Internationale Bildungs- und Begegnungswerk in Dortmund (IBB Dortmund), die Internationale Bildungs- und Begegnungsstätte „Johannes Rau“ Minsk (IBB Minsk) und die Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas. Das Begleitprogramm zur Ausstellung umfasst Zeitzeugengespräche, Bildungsveranstaltungen für Schüler, Studierende und Lehrkräfte sowie runde Tische zur Erinnerungskultur an Kriegsopfer.

Der Verein Gedenkstätte und NS-Dokumentationszentrum Bonn zeigte seinerseits im Februar 2019 im Rheinbacher Rathausfoyer die Ausstellung „Vernichtungsort Malyj Trostenez – Geschichte und Erinnerung in Bonn“. Diese Ausstellung erklärte vor allem die Situation in Bonn während der nationalsozialistischen Herrschaft und zeigte Bonner Familien, die in Malyj Trostenez ermordet wurden.[11]

Der zweite Bauabschnitt der neuen postsowjetischen Gedenkanlage wurde аm 29. Juni 2018 eröffnet, als die feierliche Einweihung der Gedenkanlage in Blagowschtschinain Anwesenheit des belarussischen Präsidenten Aleksandr Lukaschenko, des deutschen Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier und des österreichischen Bundespräsidenten Alexander van der Bellen sowie weiterer politischer Repräsentanten aus Tschechien und Polen stattfand. Dieser Abschnitt schloss zwei Projekte ein, nämlich den Gedenkfriedhof Blagowschtschina von Minskprojektund Den Weg des Todesvon belarussischen Architekt Leonid Levin in Blagowschtschina. 

Abb. 5: Fundstücke auf der Lichtung im Wald Blagowschtschina. Aliaksandr Dalhouski

Vor dem Hintergrund, dass der Wald von Blagowschtschinaneben Auschwitz-Birkenau zu jenen Orten zählt, wo die meisten österreichischen Juden ermordet wurden, gründete die Wienerin Waltraud Barton, deren Angehörige unter diesen Opfern waren, 2009 die Bürgerinitiative IM-MER (Abkürzung für Initiative Malvine — Maly Trostinec Erinnern) in Österreich. Ihre Vertreterinnen und Vertreter bringen seit 2010 gelbe Schilder mit Fotos und Namen der Ermordeten in direkter Nähe zum Erschießungsort in Blagowschtschinaan. Die Schule aus Bolschoj Trostenez sowie Angehörige von deportierten und ermordeten Jüdinnen und Juden aus Deutschland haben sich der Initiative angeschlossen. Die von der Wiener Initiative IM-MER angebrachten gelben Schilder mit Fotos und Namen der Ermordeten wurden dabei zu einer Art Verbindungselement zwischen den beiden Projekten in Blagowschtschina.[12]

Abb. 6: Das Schild in Erinnerung an den Transport mit der Bezeichnung 219 vom 20. Juli 1942 nach Minsk/Malyj Trostenez im sogenannten Wald der Namen in Blagowschtschina. Es wurdevon dem Arbeitskreis Lern- und Gedenkort Jawne (Köln) im Juni 2014 aufgehängt. Juden aus Bonn sind dabei als Jüdische Frauen, Männer Jugendliche und Kinder aus dem Kölner Umland erwähnt. Aliaksandr Dalhouski

Der Weg des Todes von Leonid Levin thematisiert explizit jüdische Opfer und soll mit stilisierten Waggons und Koffer-Skulpturen[13]an die über 23.000 deportierten Juden aus dem Westen erinnern. Die Übernahme des Entwurfs von Levin durch die Stadt sowie die Einbindung der gelben Schilder mit Fotos und Namen der Ermordeten im Wald Blagowschtschina können als ein Erfolg für belarussische, deutsche und österreichische Akteurinnen und Akteure der Zivilgesellschaft bezeichnet werden.

Derzeit markieren die symbolischen Erschießungsgräben in Blagowschtschina, deren Umrisse nach der Karte der „Minsker Gebietskommission zur Unterstützung der Außerordentlichen Staatlichen Kommission der UdSSR“ im Jahr 1944 festgelegt wurden, die Topografie des Terrors in Blagowschtschina. Die Errichtung der Gedenkanlage ist zum Zeitpunkt der Verfassung dieses Textes nicht abgeschlossen. So ist der dritte Bauabschnitt mit der Gestaltung der ehemaligen Vernichtungsstätte in Schaschkowka, an der Menschen vom Oktober 1943 bis Juni 1944 massenweise ermordet wurden, noch nicht umgesetzt. EinezentraleAufgabe in naher Zukunft ist es, die Bildung von MalyjTrostenezin Form eines Informations-/Dokumentationszentrums am historischen Ort zu etablieren. 

Die pädagogische Funktion – Exkursionen und Workshops – zum Thema Holocaustin Malyj Trostenez und Minsker Ghetto wird derzeit teilweise vom belarussisch-deutschen Projekt Geschichtswerkstatt Minskerfüllt. Die Geschichtswerkstattist ein belarussisch-deutsches Projekt, das im Jahre 2002 durch das Internationale Bildungs- und Begegnungswerk in Dortmund, die Internationale Bildungs- und Begegnungsstätte „Johannes Rau“ Minsk und den Verband der belarussischen jüdischen Organisationen und Gemeinden ins Leben gerufen wurde. Die Geschichtswerkstatt befindet sich in einem historischen Gebäude auf dem Gelände des ehemaligen Minsker Ghettos, das ein Lernen aus der Geschichte an authentischen Orten ermöglicht.


[1]Dieser Artikel hat den gleichen Titel mit der Wanderausstellung „Vernichtungsort Malyj Trostenez. Geschichte und Erinnerung”. Mehr Information über diese Ausstellung findet man weiter in diesem Artikel.

[2]Vgl. Gerlach: Kalkulierte Morde, S. 625.

[3]Ebd., S. 694.

[4]https://www.general-anzeiger-bonn.de/bonn/stadt-bonn/ausstellung-zur-deportation-der-bonner-juden_aid-43537237. Stand 10.06.2020.

[5]Dieter Corbach: 6.00 ab Messe Köln-Deutz. Deportationen 1938-1945, Köln 1999, S. 157-172.

[6]https://www.rheinbacher.de/news-und-nachrichten/aus-dem-rathaus/3784-malyj-trostenez-toetungsort-fuer-viele-juden-aus-bonn-und-umgebung. Stand 10.06.2020.

[7]http://zeitzeugenarchiv.gwminsk.com/de/archiv/koln/hoffmann-oscar.Stand 19.06.2020.

[8]Vgl. Andrei Angrick: „Aktion 1005“ – Spurenbeseitigung von NS-Massenverbrechen 1942-1945. Eine „geheime Reichssache“ im Spannungsfeld von Kriegswende und Propaganda, Göttingen 2018, Bd. 1, S. 563-582.

[9]Vgl. Gerlach: Kalkulierte Morde, S. 770; Vgl. Rentrop:Tatorte der „Endlösung“, S. 227.

[10]Das Projekt zur Schaffung der Wanderausstellung wurde vom deutschen Auswärtigen Amt und ihre Präsentation in Deutschland, Belarus, Tschechien, Österreich und der Schweiz aus den Mitteln des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge e. V. gefördert. Ergänzend zur Schau wurde mit Unterstützung der Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ ein Ausstellungskatalog auf Russisch und Deutsch erstellt.

[11]https://www.general-anzeiger-bonn.de/bonn/stadt-bonn/ausstellung-zur-deportation-der-bonner-juden_aid-43537237

[12]Vgl. Aliaksandr Dalhouski, “Zur Transformation des sowjetischen Gedenkortes bei Malyj Trostenez in einen gesamteuropäischen Erinnerungsort,” in: Das Massiv der Namen. Ein Denkmal für die österreichischen Opfer der Shoa in Maly Trostinec, Pia Schölnberger, Bundeskanzleramt Österreich (Hrsg.), Wien 2019.

[13]Das architektonische Element von Lewins Projekt „Waggons“ blieb ohne Namen, auch wurden die Skulpturen bisher nicht aufgestellt.