
von Matteo Bocchieri
Nach jahrzehntelanger Verdrängung gewann Geschichte der Zwangsarbeit im nationalsozialistischen Deutschland ab den 1980er Jahren zunehmend an Aufmerksamkeit. Standardwerke, wie z. B. Mark Spoerer´s „Zwangsarbeit unter dem Hakenkreuz“1, haben aufgezeigt, dass es während der NS-Zeit massiv zum Einsatz der Zivilarbeiter kam. Doch im Kontrast zu der Fülle von Erkenntnissen über die Bedeutung der Zwangsarbeit für die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des „Dritten Reiches“ während des II. Weltkriegs bewegte sich „die historische Forschung über diejenigen, die diese Arbeit liefern mussten, immer noch in ihren Anfängen“.2 Um diesen Aspekt zu beleuchten wurden mit ehemaligen Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter seit den 1990er Jahren Interviews geführt.3 Die Erinnerungen enthalten Informationen von unschätzbarem Wert über Zusammenhänge und Tatsachen, die die lückenhafte dokumentarische Überlieferung in den Archiven ergänzen können. Mit der zunehmenden zeitlichen Entfernung und dem unaufhaltsamen Verschwinden der Zeugen wird es dementsprechend schwieriger, die Geschichte der Zwangsarbeit während der NS-Zeit in seiner konkreten, subjektiven Erfahrung darzustellen. Die Forschungsarbeit richtet sich immer mehr auf die individuellen Schicksalen dieser Millionen von Menschen, die Zwangsarbeit in oft unerträglichen Umständen leisten mussten, beschäftigen.
In diese Richtung soll auch dieser Beitrag gehen: Auf der Basis von einer verhältnismäßig dürftigen Quellenbasis erzählt er Fragmente individueller Schicksale. Während am Anfang der Feldforschung verwahrloste Grabsteine standen, konnten im Verlauf der Spurensuche doch einige Einzelgeschichten der verschleppten, ausgebeuteten und ermordeten Menschen ans Licht gebracht werden.
Ein Gräberfeld in Frechen-Bachem
Die Studien der Lokalhistoriker Hans Hesse, Elke Purpus und Paul Stelkens waren eine wichtige Anregung für die Feldforschung. Hesse und Purpus beschäftigen sich seit einigen Jahrzehnten mit der Dokumentation von Gedenkstätten, Mahnmalen, Kriegsgräberfeldern usw. sowohl in Köln als auch im Rhein-Erft-Kreis. In „Führer zu Mahnmalen, Denkmälern und Gedenkstätten des Ersten Weltkrieges und zur NS-Zeit“ geben sie für den Standort Frechen-Bachem, folgende Beschreibung:
„Hinten am Ende des Hauptweges und damit am Ende des Friedhofs liegt ein Kriegsgefangenengräberfeld für 13 Russengräber (?). Die meisten Grabplatten sind rechteckig und liegen flach am Boden. Eine Grabplatte ist individuell gestaltet. Einige dort liegende Kriegsgefangene (vermutlich Zwangsarbeiterinnen) sind erst 1946 gestorben, was auf ein D(isplaced) P(ersons)-Lager (einem Auffanglager nach 1945, in dem überwiegend Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene auf ihre Rückreise warteten. (…)„4
Die vielen unbeantworteten Fragen, die dieser Eintrag aufwarf, bewegten mich zum Besuch dieses Gräberfeldes. Im unmittelbaren Umkreis von Frechen gibt es zwar mehrere Gräberfelder von Opfern des Zweiten Weltkrieges.5 Die am Friedhof an der Fließ in Frechen-Bachem Begrabenen schienen mir am wenigsten berücksichtigt zu sein, was meine Neugier besonders erweckte.6
Die Forschungen des Lokalhistorikers Paul Stelkens haben deutlich aufgezeigt, dass eine gründliche Arbeit in Lokalarchiven in scheinbar hoffnungslosen Fällen beeindruckende Erfolge bringen kann. Stelkens hat sich nach seiner Pensionierung u. a. der Erforschung vom Schicksal einiger in Frechen-Königsdorf beigesetzten sowjetischen Kriegsgefangenen, deren Grabsteine er zufällig im Königsdorfer Friedhof entdeckte, gewidmet.7 Diese Grabsteine befanden sich in einem verlassenen Zustand.8 Durch seine akribische Spurensuche konnte er aber die Lebens- und Todesumstände dieser Menschen dokumentieren. Die Namen auf den Grabplatten wurden von ihm mit individuellen Schicksalen verknüpft. Seine Recherchearbeit ergab, dass unter der Lokalbewohnern von Frechen es immer noch Erinnerung an einige Kriegsgefangene gibt.9
Die 2009 veröffentlichte Studie10 von Hans Hesse und Elke Purpus erfasst „alle in der Gemeinde Frechen beerdigten sowjetrussischen ZwangsarbeiterInnen und/oder Kriegsgefangenen“.11 Bislang ist es die einzig veröffentlichte Untersuchung zum Schicksal der Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter in der Region. Die konkreten Informationen über die Beigesetzten am Friedhof in Frechen-Bachem gibt eine Liste mit deren Namen, Geburts- und Todesdaten sowie teilweise Angaben zum Beruf und Staatsangehörigkeit.12 Diese Liste ist in „russische ZwangsarbeiterInnen“ und „polnischen ZwangsarbeiterInnen“ des Zweiten Weltkrieges eingeteilt.13
Eine Gedenkstätte ohne Gedenken?
In ihrer Lokalstudie geben Hans Hesse und Elke Purpus zu bedenken:
„Diese Randlage, diese schwer zu entziffernden Grabsteine, ihre unauffällige Gestaltung – all das begünstigt, dass diese Menschen und ihr Schicksal in Vergessenheit zu geraten drohen. Mitunter können die einfachsten Fragen nicht beantwortet werden: Wie hießen sie? Wann lebten sie? Wie kamen sie zu Tode? Und das, obwohl es sich um Kriegsgräber handelt, um Anlagen also, die einen besonderen Status innehaben. Wie die deutschen Kriegsgräberanlagen auch, stehen diese Gräberfelder unter einem gesonderten gesetzlichen Schutz. (…) Ihre Grabsteine könnten die ersten Mosaiksteine einer Spurensuche über ihre Schicksale sein.„14

Die Gräber im Fokus meiner Spurensuche befinden sich am Rande des Friedhofs in unmittelbarer Nähe eines Seitenausganges. „[H]inten am Ende des Hauptweges“, wie von Hesse und Purpus beschriebe.15 Mitten im Gräberfeld wächst eine große Birke. Die Grabplatten der ZwangsarbeiterInnen sehen in den meisten Fällen verwittert aus, teilweise sind sie mit Moos bewachsen. Die Namen können in einigen Fällen nur mühsam entziffert werden.
Die folgende Tabelle gibt die Inschriften auf den Grabplatten wider:

Nirgendwo ist ein Hinweis über das Schicksal oder die Todesumstände dieser Menschen zu sehen. Das Nebeneinander dieser „vergessenen“ Gräber und der sehr gepflegten umliegenden Gräber der lokalen deutschen Bevölkerung sorgt für einen starken visuellen Kontrast: Im Verhältnis zu diesen mit Blumen geschmückten Gräber sehen die schlichten Grabsteine der Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter wie unauffällige Natursteine aus. Ein kleiner Pfad, der den Seiteneingang und einige gepflegten Gräber verbindet, verläuft quer über einige dieser Gräber. Generell liefert das Erscheinungsbild dieses Gräberfeldes den Eindruck, dass sehr wenig getan wurde und wird, um die Schicksale der hier begrabenen Menschen dem Vergessen zu entziehen. Es ist höchst wahrscheinlich, dass hier auch keine Gedenkpraktiken stattfinden, zumindest gibt es keine Spuren davon, dass jemand diese Gräber besucht.
Zwei Grabsteine fallen besonders auf. Der erste ist eine etwas größere Grabplatte (von Jan Mischuk), extrem verwittert, so dass nur wenige Buchstaben und einzelne Nummern in der Inschrift zu entziffern sind. Auf der linken Seite ist ein Kreuz eingemeißelt, ebenfalls ein Merkmal, das auf den anderen Grabplatten fehlt. Der andere (von Maria Tarawska) scheint auf dem ersten Blick in keinem direkten Verhältnis zu den anderen zu stehen: Ein ungefähr ein Meter hoher Grabstein mit einer längeren Inschrift. Die Recherche hat ergeben, dass es sich mit großer Wahrscheinlichkeit auch in diesem Fall um Grabstein einer Zwangsarbeiterin handelt.16
Zwischen den anderen Grabplatten sind Unterschiede: Manche sind offenbar viel früher als die Anderen gelegt worden. Die neueren Grabplatten sind die mit lateinischen Buchstaben, während die älteren, die wegen der Verwitterung fast unmöglich zu entziffern sind, kyrillische Buchstaben aufweisen. Die folgenden Fragen drängten sich auf: Warum und wann wurden manche Grabplatten ausgetauscht? Aus welchem Grund hat man sich für die lateinische Schreibweise entschieden?
Auf Spurensuche im Archiv
Eine Nachfrage bei der Friedhofsverwaltung Frechen konnte diese Fragen nicht beantworten, aber ich bekam eine Liste mit Informationen über die ZwangsarbeiterInnen, der russischen Kriegsgefangenen des Ersten Weltkrieges und gefallenen deutschen Soldaten des Zweiten Weltkrieges, die auf demselben Friedhof beigesetzt sind.17 Die Informationen über die ZwangsarbeiterInnen sehen folgendermaßen aus:
ADAMOWITZ Maria, verstorben am 17.5.1946. Staatsangehörigkeit Polen;
ALEXANDROWA Ira, geboren am 19.7.1921 in Kulitzkaja, verstorben am 30.1.1945 in Frechen. Ostarbeiterin. Staatsangehörigkeit UdSSR.;
BOROWEZAK Hedwig geb. BATCORICK, verstorben am 3.8.1943 in ?. Landarbeiterin. Staatsangehörigkeit Polen;
CHAMAMATOW, Gadschi, geboren am 10.2.1915 in Bruska/Ukraine, verstorben am 22.11. 1944 in Frechen. Ostarbeiter. Staatsangehörigkeit UdSSR.;
CZOBOT, Hella, geboren am 15.2.1946 in Frechen, verstorben am 9.4.1946 in Frechen. Staatsangehörigkeit Polen; Name und Anschrift der Angehörigen: CZOBOT Eva, Brauweiler.
JAWOROWSKA Pauline, verstorben am 27.2. 1946 in Frechen. Staatsangehörigkeit Polen;
IWANIURA Jedwiga geb. KUSCHMIR, geboren am 19.3.1900, verstorben am 4.2.1946 in Frechen. Landarbeiterin. Staatsangehörigkeit UdSSR.;
KLUDWIGA Ilse, geboren am 16.3.1926, verstorben am 2.4.1945 in Frechen-Neuhemmerich. Landarbeiterin. Staatsangehörigkeit UdSSR;
MISCHUK Jan, geboren am 22.11.1855, verstorben am 2.2.1945 in Frechen. Invalide. Staatsangehörigkeit Polen;
PETKOW Alex, geboren am 15.1.1923, verstorben. am 15.11.1944 in Frechen. Ostarbeiter. Staatsangehörigkeit UdSSR;
SOBECKI Roman, geboren am 17.8.1917, verstorben am 3.3.1945 in Frechen. Landarbeiter. Staatsangehörigkeit Polen.;
STABINISKA Nadia, verstorben am 24.11.1945 in Frechen. Staatsangehörigkeit Polen;
XONONOMOB Tagma, geboren am 10.3.1915, verstorben am 23.11.1944. Ostarbeiterin. Staatsangehörigkeit UdSSR.;
BELLOBOKOW Nikolei. Staatsangehörigkeit UdSSR.
Meine Spurensuche setzte ich im Frechener Stadtarchiv fort. Dort habe ich mehrere Aktenbände gesichtet, die mir sehr hilfsbereite und freundliche Mitarbeiterinnen des Archivs bereitgestellt hatten. Darüber hinaus konnten Kopien von Sterbeurkunden einiger ZwangsarbeiterInnen eingesehen werden. In den Aktenbänden suchte ich nach jeglichem kleinsten Bruchstück von Informationen. Im Stadtarchiv Frechen wurden aber nur die Aktenbände durchsucht, die mit dem Ausländerwesen zu tun hatten. Es bleibt somit ungeklärt, ob eventuell in den umfangreichen Beständen des Frechener Stadtarchivs weitere Informationen aufzufinden sind. Die Recherchearbeit brachte Einzelheiten über die Schicksale einiger ZwangsarbeiterInnen ans Licht, die mich sehr bewegt hatten. Die ZwangsarbeiterInnen im Friedhof an der Fließ in Frechen-Bachem wurden von der Verwaltung in zwei Kategorien unterteilt: „Polen“ und „Ostarbeiter“. Die Forschung über die Zwangsarbeit während der NS-Periode hat schon lange darauf hingewiesen, dass die beiden Kategorien am unteren Ende der „rassischen“ Skala angesiedelt waren.18
Ergebnisse der Archivforschung: Die Schicksale der Zwangsarbeiter und Zwangsarbeiterinnen
ADAMOWITZ, Maria: Die Liste vom Friedhofsamt Frechen wie auch die Aufzählung im Aufsatz von Hesse und Purpus geben an, dass sie eine Frau polnischer Staatsangehörigkeit war, die am 17. Mai 1946 in Frechen verstarb. Vermutlich ist Maria Adamowitz dieselbe Person wie die Maria Tarawska, die zusammen mit den anderen ZwangsarbeiterInnen in Frechen-Bachem beigesetzt wurde. Das Todesdatum auf dem Grabstein (17.7.1946) ist fast identisch mit dem in den erwähnten Listen. Tarawska könnte Mädchenname der Frau sein. Die Inschrift auf weißem Marmor auf dem Grabstein lautet: „Hier ruht in Gott geliebte Freundin und gute Mutter Maria Tarawska“. Die Inschrift scheint aber nicht auf Polnisch, sondern in einer südslawischen Sprache geschrieben zu sein.
ALEXANDROWA, Ira: Ihr Leben endete auf tragische Weise. Am 30. Januar 1945 wählte sie den Freitod, wie mehrere Dokumente im Stadtarchiv Frechen bezeugen. Dabei heißt es in einem Schreiben des „Bürgermeister als Ortspolizeibehörde Ausländeramt“ vom 3. Februar 1945 in Frechen, das „an dem Herrn Landrat in Brühl“ gerichtet war: „Laut Bericht der Polizeileitestelle Köln, außenposten Frechen, hat die bei Jakob Schlösser, Buschbell, beschäftigte Ostarbeiterin Ira Alexandrowa, geb. am 19. Juli 1921 in Kalinin, am 30. Januar 1945 durch trinken von Essig-Essenz Selbstmord begangen.“19 Weitere Informationen liefert ein Schreiben der Kriminalpolizeileitstelle Köln an das Einwohnermeldeamt Frechen, wo man u. a. lesen kann, dass sie im „Obstgut Schlösser in Frechen-Buschbell“ gearbeitet habe und dass „Angehörige (…) hier nicht festgestellt werden […].“20 konnten. Sie war, wie auch ein weiteres Dokument vom 15. Juli 1944 mit dem Titel „Aufenthaltsanzeige eines Ausländers“ bezeugt,21 als Landarbeiterin dort tätig. Sie war ledig und griechisch-katholischen Glaubens. Seit dem 7. August 1942 befand sie sich in Frechen-Buschbell.22 Dieses Aktenstück trägt zudem Ira Alexandrowas eigenhändige Unterschrift sowie ihr Lichtbild.23 Es handelt sich dabei um das einzige Lichtbild von einer den in Frechen-Bachem beigesetzten ZwangsarbeiterInnen, das die Spurensuche im Stadtarchiv Frechen ergeben hat.


BEBAS, Maria: Der Besuch im Friedhof an der Fließ führte zur Einsicht, dass sowohl die Liste des Friedhofsamtes als auch die im Aufsatz von Hesse und Purpus lückenhaft sind. Zwei Grabplatten sind nämlich unter denen von den ZwangsarbeiterInnen auf dem Friedhof zu sehen, die einen Namen tragen, der in diesen zwei Listen nicht zu finden ist. Auf einer davon steht „Maria Bembas“ geschrieben. Ihr Geburtsdatum ist dort als der 19.10.1926 angemerkt. Das Todesdatum ist der 3.3.1945. Dem Handwerker, der den Namen eingemeißelt hat, muss aber ein Fehler unterlaufen sein, denn der Nachname Bebas – und nicht Bembas – ist in den Archivalien im Stadtarchiv Frechen zu finden. Das Geburtsdatum von Maria Bebas in diesen Dokumenten stimmt mit dem auf der Grabplatte überein.24 Von Interesse ist zweierlei: Zum einen werden weitere Personen mit dem selben Familiennamen aufgelistet. Diese Personen waren offenbar mit Maria Bebas verwandt.25 Es handelt sich um Felix, Wladislaus und Johann, die ungefähr im gleichen Alter waren wie Maria, sowie um Alexander, der um eine Generation älter war.26 Alle Bebas sind als Polen vermerkt worden. Darüber hinaus ist es interessant, dass auch der Zwangsarbeiter Roman Sobecki, der ebenfalls im Friedhof an der Fließ beerdigt wurde, in einer dieser Listen zu finden ist.27 Maria Bebas und Roman Sobecki mussten somit eine gewisse Zeit bei demselben Arbeitgeber in Neuhemmerich/Frechen Zwangsarbeit geleistet haben.
BOROWCZAK Jadwiga: Sie war am 23.8.1886 in Braciejowice im Kreis Radzyn geboren. Sie musste für H.H. Kreifelts als Landarbeiterin Zwangsarbeit leisten. Seine Arbeitsstelle war das Gut Neuenhof in Frechen.28 Leider war kein Lichtbild auf seiner Arbeitskarte zu finden. Anderen Archivalien ist zu entnehmen, dass Familienangehörige ebenfalls bei Kreifelts in Frechen-Neuenhof arbeiteten. Eine Liste, die nach ihrem Tod verfasst wurde,29 verzeichnet die Namen ihrer Kinder: Maria, Zofia und Stanislaus.30 Stanislaus eigene Unterschrift ist auf der Sterbeurkunde der Mutter zu erkennen.31 Dort wird das Todesdatum genau angegeben: am 3. 8. 1943, 6:30 Uhr in Neuenhof. Darüber hinaus erfährt man den Namen ihres Mannes: Sie war mit dem „bereits früher verstorbenen Johann Borowcszak“ verheiratet gewesen.32
CHAMAMATOV, Gadschi: Im Stadtarchiv Frechen ist seine Sterbeurkunde aufbewahrt. Dort kann man folgende Informationen finden: Der „Ostarbeiter“ Gadschi Chamamatov verstarb am 22.11.1944 um 11:30 Uhr in Frechen wegen „eines feindlichen Luftangriff“. Er wurde am 10.2.1915 in Kruska (Ukraine) geboren.33
CZOBOT, Hella: Über sie hat die Archivforschung bisher keine neuen Informationen ergeben. Sie wurde am 15.2.1946 in Frechen geboren und starb bereits am 9.4.1946 in Frechen noch im Babyalter. Ihr Todesdatum könnte auf einen Aufenthalt in einem DP-Lager hindeuten.34 Auf der Liste vom Friedhofsamt ist Eva Czobot als Familienmitglied angemerkt (höchstwahrscheinlich die Mutter). Nach dieser Liste hat sie sich in Brauweiler aufgehalten. Die Frage, ob Eva Czobot später nach Polen repatriiert worden ist oder weiterhin in Deutschland gewohnt hat, konnte nicht eruiert werden.
JAWOROWSKA, Pauline:Über sie konnte lediglich festgestellt werden, dass die Schreibweise ihres Namens auf der Grabplatte (Pauline Ɉoworowska) sich ein wenig von der in den Listen vom Friedhofsamt und im Aufsatz von Hesse und Purpus unterscheidet. Dort wird sie als Pauline Jaworowska verzeichnet.
IWANIURA (geb. KUSHMIR), Jedwiga: Auch in ihrem Fall hat die Recherchearbeit keine gewichtige Erkenntnis erbracht. Interessant ist allein, dass ihr Vorname auf der Grabplatte zu Hedwig „eingedeutscht“ wurde.
KLUDWIGA, Ilse:Die Forschung ergab keine neue Erkenntnisse.
MISCHUK, Jan: In einem Schreiben vom 2.2.1945 ist zu lesen, dass der „ (…) Ostarbeiter Jan Mischuk, 1856 geboren“ am 2.2.1945 Tag starb.35 Die Sterbeurkunde bestätigt das Todesdatum und liefert weitere Informationen: der als „Invalide“ bezeichneten Jan Mischuk, geboren am 22.11.1855, schied am 2.2.1945 um 9 Uhr in Frechen vom Leben. Er war mit der „bereits früher verstorbenen Maria Mischuk verheiratet“ gewesen. Auf diesem Dokument ist die Unterschrift von Edward Mischuk zu finden (möglicherweise der Sohn).36 Der Grund für die unterschiedlichen Geburtsdaten konnte nicht bestimmt werden. Interessant ist die Tatsache, dass Jan Mischuk im bereits erwähnten Schreiben als „Ostarbeiter“ vermerkt worden ist. Sowohl auf der Liste vom Friedhofsamt als auch in der im Aufsatz von Hesse und Purpus wird er als Pole bezeichnet.
PETKOW Alex: Alex Petkov wurde nach einer im Statdarchiv Frechen aufbewahrte Liste von Zwangsarbeitern im Jahre 1923 in Nschimowko, Kiew geboren.37 Er musste mit vielen anderen für Jakob Schlosser, dessen Firma (Jakob Schlosser Obstkulturen) in Frechen-Buschbell ihren Sitz hatte, Zwangsarbeit leisten. Ein Schreiben mit der Überschrift „Meldung“ vom 15.11.1944 gibt Auskunft über seinen Tod. Dort liest man Folgendes:
Schlösser, Burghof Buschbell, teilt gegen 18.10 Uhr fernmündlich mit, daß dort ein Ostarbeiter verstorben sei. Herr Dr. Maßmann sei an der Leiche gewesen. Schl.[össer] fragt nun an, was mit der Leiche geschehen soll? Schlösser wurde mitgeteilt, die Leiche bis morgen früh in der Baracke zu belassen. Es würden dann von der Pol.[izeiliche?] Verw.[altung] die nötigen Anordnungen getroffen.38
Die Erwähnung der Baracke lässt daraus schließen, dass in Frechen-Buschbell ein Zwangsarbeiterlager speziell für Jakob Schlössers landwirtschaftliches Unternehmen gewesen sein muss. Der Eindruck von Organisationsmangel wird von einem weiteren Schreiben verstärkt, in dem es darum geht, dass Alex Petkow bis zu seinem Tod „karteimäßig nicht erfasst“ worden war.39 Von Jakob Schlosser ist ein Schreiben an die Ortspolizeibehörde Frechen vom 8.11.1943 überliefert, das mit einer „Heil Hitler“ Ausrufung schließt.40 Dort beklagt er sich über einen örtlichen Fotograf, der sich bisher angeblich geweigert hat, Aufnahmen von den von ihm beschäftigten Zwangsarbeiter zu erstellen. Es ist darüber hinaus eine Liste von acht Ostarbeiter in den Akten zu finden, die von Jakob Schlossers Gut geflüchtet sind.41
Sobecki, Roman: Roman Sobecki arbeitete zusammen mit den Bebas bei Cornel Berk in Frechen/Neuhemmerich.42 Sein Name taucht aber in weiteren Listen auf. In einer ist sein Wohnort als Neuhemmerich angegeben. Sein Geburtsdatum ist dort der 15.6.1916.43 Auf seiner Sterbeurkunde ist aber vermerkt, dass der „Landarbeiter“ Roman Sobecki am 17.8.1917 geboren wurde.44 Er starb am 3.3.1945 um 17:30 Uhr in Bachem.45
Stabiniska, Nadia:Ihre im Staatsarchiv Frechen aufbewahrte Sterbeurkunde merkt an, dass sie, wohnhaft in Brauweiler, am 24.11.1945 um 10 Uhr in Frechen verstarb. Als Todesursache wird eine „Lungenentzündung mit Infizierung des Herzens“ angegeben.46
Xononomob, Tagma:Ihre im Staatsarchiv Frechen aufbewahrte Sterbeurkunde merkt an, dass die „Ostarbeiterin“ Tagma Xononomob am 23.11.1944 um 9:30 Uhr „bei einem feindlichen Luftangriff“ ( am gleichen Tag wie Gadschi Chamamatov) verstarb. Ihre Glaubensrichtung und Wohnort werden als „unbekannt“ vermerkt. Sie wurde am 15.3.1915 in „unbekannter“ Ort geboren.47
Bellobokow, Nikolei:Über Nikolei Bellobokov hat die Recherchearbeit keine neuen Informationen ergeben.
Unbekannter Ostarbeiter: Es gibt es eine zweite Grabplatte, die einen Namen trägt, den man in den beiden bereits oft erwähnten Listen vom Friedhofsamt und im Aufsatz von Hesse und Purpus nicht verzeichnet ist. Die Grabplatte selbst ist stark verwittert und mit Moos bedeckt. Es dürfte sich um die Grabplatte von ШАЛОБЕ ВЛАДИМИР (Wladimir Schalobe) handeln. Über ihn könnte die Recherchearbeit aber keine weiteren Informationen liefern.
Schlussbetrachtung
„Das Geheimnis der Versöhnung heißt Erinnerung“, betonte am 24. April 2015 der württembergische Landesbischof Dr. h. c. Frank Otfried July. Der Anlass dafür war eine Gedenkveranstaltung, die an das Völkermord an den Armenier während des I. Weltkrieges erinnerte.48 Dieselben Wörter waren im Titel eines im Jahre 1989 veröffentlichtes Ausstellungskatalogs, das sich mit der Geschichte der Zwangsarbeit im „Dritten Reich“ beschäftigte, enthalten.49 Das Gedenken an vergessener Opfer ist somit eine Angelegenheit, die weit über das dokumentarische Interesse oder die Neugier über individuellen Schicksale hinausgeht. Viele ZwangsarbeiterInnen warten noch auf ein angemessenes Zeichen der Anerkennung und des Gedenkens. Ich wünsche mir, dass meine Spurensuche zumindest ein bisschen dazu beitragen könnte.
1 Mark Spoerer, Zwangsarbeit unter dem Hakenkreuz, Stuttgart/München 2001.
2 Johannes-Dieter Steinert, Deportation und Zwangsarbeit. Polnische und sowjetische Kinder im nationalsozialistischen Deutschland und im besetzten Osteuropa 1939-1945, Essen 2013, S. 17.
3 Ebenda, S. 19f.
4 Hans Hesse/Elke Purpus, Gedenken und Erinnern im Rhein-Erft-Kreis. Ein Führer zu Mahnmalen, Denkmälern und Gedenkstätten des Ersten Weltkrieges und zur NS-Zeit, Essen 2008, S. 140.
5 Ebenda, S. 132-145.
6 In Frechen-Grefrath sind ebenfalls vergessene Gräber von sowjetischen Kriegsgefangenen (oder möglicherweise Zwangsarbeiter und Zwangsarbeiterinnen) zu finden. Eine weitere Spurensuche wäre wünschenswert, um die Schicksale auch dieser Menschen ans Licht zu bringen. Siehe: Ebenda, S. 142f.
7 In einem Vortrag im Jahre 2011 hat er den Vorfall, der den Beginn seiner Spurensuche markierte, auf folgender Weise geschildert: „Vor über 10 Jahren fand ich rein zufällig weit ab von den deutschen Kriegsopfergräber und verborgen hinter einer Hecke am hintersten Rand des Friedhofs in Großkönigsdorf elf Grabplatten mit kyrillischen Buchstaben, etwas verwahrlost, Reifenspuren führen darüber. (…) Als ich diese Grabplatten sah, machte mich die Erinnerung an meinem Vetter, 12 Jahre älter als ich, neugierig. Er wurde keine 19 Jahre alt, als er, ein Elektrolehrling, der nicht Soldat werden wollte, wenige Monate nach seiner Einberufung in der Wehrmacht in der Westukraine als vermisst gemeldet wurde. (…) Ich weiß erst aufgrund von Nachforschungen im Zusammenhang mit den Recherchen zu unseren Thema, dass nach einem dreiwöchigen ununterbrochenen Beschuss während der Rückzugskämpfe keine sterbliche Überreste von ihm und seiner ganzen Einheit übrig geblieben waren. Die Frage ließ mir keine Ruhe: Wussten die Angehörigen der hier liegenden Toten ebenso wenig von dem Schicksal ihrer Väter, Brüder, Söhne wie unsere Familie von dem meines Vetters? (…)“. Siehe Paul Stelkens, Vergessene sowjetische Kriegsopfergräber in Frechen Königsdorf. Zum Schicksal von Gefangenen und Zwangsarbeitern während des Zweiten Weltkrieges. Diese Beschreibung befindet sich auf S. 24f. Online-Aufsatz abrufbar unter: https://www.stadtarchiv-frechen.de/images/03_Stadtgeschichte/veroeffentlichungen/media/2015-Vortrag_Kölner_Justiz_in_der_NS-_Zeit_von_Prof._Dr._Paul_Stelkens.pdf
8 Paul Stelkens, Vergessene sowjetische Kriegsopfergräber in Frechen-Königsdorf? Ein langer Weg zur Erinnerung an den Tod junger Menschen. Zugleich ein Beitrag zum 65. Jahrestag des Kriegsendes in Königsdorf am 4. März 1945, in: Pulheimer Beiträge zur Geschichte 35, Pulheim 2010, S. 247-307, hier S. 266.
9 Paul Stelkens, Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter in Königsdorf, Bd. 1, Frechen 2015.
10 Hans Hesse/Elke Purpus, „Auf der Flucht erschossen“. Recherche zum Schicksal der in der Gemeinde Frechen verstorbenen Kriegsgefangenen und ZwangsarbeiterInnen, Jahrbuch des Frechener Geschichtsvereins, Bd. 5 (2009), S. 207-220.
11 Ebenda, S. 208.
12 Ebenda, S. 209. Siehe Anhang, Nr. 1.
13 Ebenda.
14 Ebenda, S. 207.
15 Hans Hesse/Elke Purpus, Gedenken und Erinnern im Rhein-Erft-Kreis (wie Anm. 4), S. 140.
16 Es ist zu vermuten, dass sich dabei um die Maria Adamowitz handelt, die auch in den Listen aufgeführt wird ist. Tarawska könnte der Mädchenname dieser Frau darstellen.
17 Die Gräber der russischen Kriegsgefangenen des I. Weltkrieges konnten nicht ausfindig gemacht werden. Weitere Recherchen und Nachfragen werden nötig sein. Die Grabsteine deutscher Soldaten, die unweit von denen der Zwangsarbeiter liegen, weisen die Form stilisierter Eiserner Kreuze auf (eine für die Grabsteine deutscher Soldaten des II. Weltkrieges typische Form). Auch diesen Grabsteine sind nicht gut erhalten. Die Namen und sowie Geburts- und Todesdaten sind aber lesbar.
18 Siehe z. B. Karol Gawlowski, Die Sklavenarbeit der polnischen Bürger im »Dritten Reich«, in: Rimco Spanjer/Diete Oudesluijs/Johan Meijer (Hrsgg.), Zur Arbeit gezwungen. Zwangsarbeit in Deutschland 1940-1945, S. 115-118, hier S. 116.
19 Stadtarchiv Frechen, Aktenband 616, Blatt 005. Siehe Anhang, Nr. 2.
20 Ebenda, Blatt 006. Siehe Anhang, Nr. 3.
21 Ebenda, Blatt 007. Siehe Anhang, Nr. 4.
22 Ebenda. Siehe Anhang, Nr. 5.
23 Ebenda, Blatt 008. Siehe Anhang, Nr. 5 und Nr. 6.
24 Stadtarchiv Frechen, Aktenband 639, Blatt 013 und Stadtarchiv Frechen, Aktenband 634, Blatt 015. Siehe Anhang Nr. 7 und Nr. 8.
25 In der Liste im Aktenband 639, Blatt 013 wurden die Informationen über sämtliche Personen mit dem Nachname Bebas (Nummern 13 bis 16) mit dem Bleistift am unteren Ende eingetragen. Dies steht in Gegensatz zu den übrigen Namen, die mit einer Schreibmaschine geschrieben wurden. Das könnte möglicherweise darauf hindeuten, dass die Bebas zu einem späteren Zeitpunkt der Firma zugewiesen wurden.
26 Ebenda.
27 Ebenda.
28 Stadtarchiv Frechen, Aktenband 617, Blatt 50. Siehe Anhang, Nr. 9.
29 Sie wird dort als „verstorben“ angegeben.
30 Stadtarchiv Frechen, Aktenband 634, Blatt 033. Siehe Anhang, Nr. 10.
31 Stadtarchiv Frechen, Sterbeurkunde von Jadwiga Borowczak, 3.8.1943, Nr. 135. Siehe Anhang, Nr. 11. Stanislaus Borowczak wurde am 13.11.1912 in Zielcin, Zofia am 6.4.1927 in Po-Koscian und Maria am 6.1.1925 am selben Ort geboren. Siehe Stadtarchiv Frechen, Aktenband 639, Blatt 010. Siehe auch: Stadtarchiv Frechen, Aktenband 634, Blatt 014.
32 Ebenda.
33 Stadtarchiv Frechen. Sterbeurkunde von Gadschi Chamamatov, 23.11.1944, Nr. 193. Siehe Anhang, Nr. 12.
34 Hans Hesse, Elke Purpus, „Auf der Flucht erschossen“ (wie in Anm. 7), S. 209.
35 Stadtarchiv Frechen, Aktenband 619, Blatt 013. Siehe Anhang, Nr. 13.
36 Stadtarchiv Frechen, Sterbeurkunde von Jan Mischuk, 5.2.1945, Nr. 39. Siehe Anhang, Nr. 14.
37 Stadtarchiv Frechen, Aktenband 639, Blatt 015. Siehe Anhang, Nr. 15.
38 Stadtarchiv Frechen, Aktenband 619, Blatt 084. Siehe Anhang, Nr. 16.
39 Stadtarchiv Frechen, Aktenband 619, Blatt 083. Siehe Anhang, Nr. 17.
40 Stadtarchiv Frechen, Aktenband 639, Blatt 016. Siehe Anhang, Nr. 18.
41 Stadtarchiv Frechen, Aktenband 617, Blatt 101. Siehe Anhang, Nr. 19.
42 Siehe Anm. 14.
43 Stadtarchiv Frechen, Aktenband 634, Blatt 030. Siehe Anhang, Nr. 20.
44 Man muss zwar anmerken, dass das Geburtsdatum von Roman Sobecki in dieser Liste mit dem in der von Hesse und Purpus veröffentlichten nicht übereinstimmt. Es ist aber unwahrscheinlich, dass es sich dabei um zwei unterschiedlichen Personen handelt.
45 Stadtarchiv Frechen, Sterbeurkunde von Roman Sobecki, 24.3.1945, Nr. 172. Siehe Anhang, Nr. 21.
46 Stadtarchiv Frechen, Sterbeurkunde von Nadia Stabiniska, 27.11.1945, Nr. 285. Siehe Anhang, Nr. 22.
47 Stadtarchiv Frechen. Sterbeurkunde von Tagma Xononomob, 23.11.1944, Nr. 195. Siehe Anhang, Nr. 23.
48 Daniel Maier, Das Geheimnis der Versöhnung heisst(sic!) Erinnerung. Evangelische Kirchen in Baden Württemberg erinnern an das Völkermord an den Armenier – Landesbischof July bei der zentralen Gedenkveranstaltung. Online-Artikel abrufbar unter: https://www.ekiba.de/html/aktuell/aktuell_u.html?&m=31&artikel=7899&cataktuell=331
49 Dieter Galinski u. a (Bearb.), Das Geheimnis der Versöhnung heißt Erinnerung. Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene im „Dritten Reich“ Eine Ausstellung der Körber-Stiftung Hamburg, Hamburg 1989.